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Esra Ersen: A Possible History

Konrad-von-Soest-Preis 2023
LWL-Kunstpreis
31.8. – 5.5.24

Esra Ersen: A Possible History – Konrad-von-Soest-Preis 2023

Konrad-von-Soest-Preis

Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe verleiht den Konrad-von-Soest-Preis, der mit 35.000 Euro dotiert ist, alle fünf Jahre an eine:n Künstler:in für besondere Leistungen auf dem Gebiet der Bildenden Kunst. Bisher wurden mit dem Preis unter anderem Josef Albers, Otto Piene, Hilla und Bernd Becher, Rosemarie Trockel, Johanna Reich, Andreas Siekmann oder Tatjana Doll ausgezeichnet. 2023 hat eine Fachjury die Künstlerin Esra Ersen als Preisträgerin ausgewählt. In Zusammenarbeit mit dem LWL-Museum für Kunst und Kultur richtet das Museum mit der Preisträgerin nun eine Ausstellung aus, die von thematischen Veranstaltungen flankiert wird.

Konrad-von-Soest-Preis Logo

Esra Ersen

Esra Ersen lebt und arbeitet in Berlin. Sie wurde 1970 in Ankara geboren und studierte in Istanbul und Nantes. 2019 wurde sie mit einem Stipendium der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo ausgezeichnet.

Die Ausstellung

Esra Ersen thematisiert in Fotografien, Videos und Installationen die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft. Im Zentrum der künstlerischen Auseinandersetzung stehen Fragen zu Geschichte und historischen Perspektiven sowie die Kluft zwischen mündlicher Überlieferung und kollektiver Erinnerung.

In ihren Arbeiten macht Ersen widersprüchliche Aspekte der sozialen Wirklichkeit sichtbar und beschäftigt sich hierfür mit Alltagskultur, Bildungsstrukturen und kulturellen Symbolen im Wandel der Zeit. Die Frage nach Identität und wie diese konstruiert wird, kommt in ihrer künstlerischen Praxis immer wieder zum Tragen: Sowohl auf heitere als auch subversive Weise sucht sie Begegnungen mit Gemeinschaften wie Jugendbanden, Schulklassen, Geflüchteten oder Migrant:innen.

Ihre Arbeiten können als soziopolitische und kulturhistorische Untersuchungen verstanden werden, die in der künstlerischen Auseinandesetzung auffordern, die häufig von Klischees geprägte Wahrnehmung behutsam zu überdenken. Ersen bewegt sich in einem Zeithorizont, welcher mit der Republikgründung der Türkei beginnt, die 2023 ihren 100. Geburtstag feiert. Ihre Beobachtungen sind dabei über die Kulturräume hinweg übertragbar.

Die Ausstellung im Lichthof des LWL-Museum für Kunst und Kultur umfasst Fotografien, Objekte und Installationen sowie insgesamt drei Videoarbeiten, die in den letzten Jahren entstanden sind. Die Filme geben der Ausstellung auch ihren Titel: Mit „A Possible History III“ präsentiert Ersen zudem eine neue Arbeit, die vom LWL-Museum für Kunst und Kultur koproduziert und in Münster erstmals gezeigt wird.

 

Kuratorin: Dr. Marianne Wagner

Veranstaltungen

Alle Veranstaltungen in der Übersicht:

Literaturgespräche

Literaturgespräch
Donnerstag, 7. September 2023, 19 Uhr | Auditorium

Individuum, Heimat, Sprache.
Kübra Gümüşays „Sprache und Sein“
 

 

Literaturgespräch
Mittwoch, 7. Februar 2024, 19 Uhr | Auditorium

Zwischen Abgrund und Strategie
Şeyda Kurts „Hass – Von der Macht eines widerständigen Gefühls“
 

Künstlerinnengespräch

Dienstag, 12. September 2023, 19 Uhr | Auditorium

Esra Ersen im Gespräch mit Kuratorin Dr. Marianne Wagner

Digitaler Themenabend

20. September 2023, 18 Uhr via Zoom

A Possible History. Mit Esra Ersen und Dr. Marianne Wagner
 

Webinar-ID: 655 2600 8403
Kenncode: 54507758

Meeting beitreten

Vorträge

Vortrag

Donnerstag, 28. September 2023, 19 Uhr | Auditorium

Islamische Kunst. Zwischen Religion und Rezeption
Prof. Dr. Wendy M. K. Shaw, Freie Universität Berlin


 

Vortrag (entfällt) 

Mittwoch, 10. Januar 2024, 19.30 Uhr | Auditorium

Identitätspotentiale in einer postmigrantischen Gesellschaft
Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani, Universität Osnabrück

FilmGalerie

24. Oktober – 14. November 2023, jeweils 19.30 Uhr | Auditorium

Neuer Türkischer Film

Mehr Informationen

Konzerte

Konzert

Montag, 15. Januar 2024, 19.30 Uhr | Foyer

Drehkreuz Bosporus – ein Konzert zwischen Asien und Europa
mit Christiane Oelze (Sopran) und dem E-MEX Ensemble (Essen)

 

Konzert (ABGESAGT!)

Montag, 5. Februar 2024, 20 Uhr | Foyer

Derya Yildirim & Grup Şimşek – ANATOLIAN ROCK
In Kooperation mit dem Gleis 22
 

 

Podium

Donnerstag, 15. Februar 2024, 19 Uhr | Auditorium

Identität, Sprache und Deutungsanspruch

Künstler:innen in Museen

mit Prof. Dr. Gürsoy Doğtaş, Universität der Künste Berlin,
Esra Ersen, Künstlerin,
Dr. Sylvia Necker, Preußenmuseum Minden,
Dr. Marianne Wagner, LWL-Museum für Kunst und Kultur
 

Esra Ersen: A Possible History

Karussell

Für „Karussell“ baute Esra Ersen in einem Biologie-Hörsaal eines Kölner Gymnasiums eine Art Experiment auf: Ein an die Wand projiziertes Gemälde von 1814 zeigt die berühmte Wiener Winter-Reitschule. Von den Balkonen schaut ein vornehm gekleidetes Publikum Kavalleristen dabei zu, wie sie mit Lanzen in modellierte Köpfe aus Pappmaché stoßen. Das Spiel heißt „Türkenkopfstechen“. Die Schüler:innen des Gymnasiums wurden von der Künstlerin aufgefordert, das Bild zu beschreiben, das vor ihrem inneren Auge entsteht, wenn sie das Wort „Türke“ hören, und gebeten, dieses in einer Tonbüste zu modellieren. In der Präsentation wurden die Tonköpfe auf Drehtellern im Setting des Biologiesaals platziert.

Foto Ersen Karussel, 1998, Installation

A Possible History I

„A Possible History I“ ist eine Untersuchung, bei der sich Vergangenheit und Gegenwart überschneiden. Auf den Spuren osmanischer Balkanreisender des frühen 20. Jahrhunderts unternimmt eine Figur namens „E“ eine fünftägige Reise nach Sofia im Jahr 2013. In Gesprächen mit Wissenschaftler:innen und Künstler:innen hört „E“ historische Überlieferungen und erhält Einblick wie stereotype Erzählungen, die Geschichtsbilder und den Nationengedanken strukturieren. Gleichzeitig wird deutlich, das die Auseinandersetzung mit Kulturgeschichte und Geschichtsschreibung nur teilweise abgebildet werden kann. Der kulturelle Transfer zwischen den Balkanstaaten und der Türkei bringt überraschende Phänomene hervor, die in Kontrast zu den offiziellen Narrativen stehen.

Esra Ersen, A possible History I: When Thinking Some Play with the Mustache, Others Cross Arms, 2013 | Video, 31:09 Min. (Erdgeschoss)

A Possible History II

Auch in „A Possible History II“ reist die Figur „E“ erneut durch die Zeit. Beginnend mit dem Militärmuseum und der Frage, wie dort die nationale Mythologie konstruiert wird, spürt Esra Ersen kulturellen Zusammenhängen nach, die in Fernsehserien, Comics, Lehrbüchern und in Museumsräumen präsentiert wurden und werden. Das Video konzentriert sich auf Erzählmuster, die die Nationenbildung der Türkei seit Beginn begleiten. Sie legt Widersprüche offen, die sich aus nicht linearen Erzählungen zugunsten politischer Interessen ergeben. Mit Blick auf die visuelle Kultur fragt sie nach der Deutungshoheit: Was wird gezeigt, was wird verborgen?

Esra Ersen, A Possible History II. Turkish Heroes, Chinese Knick Knacks, 2015 | Video, 31:09 Min.

Rehabilitation

In São Paulo arbeitete Esra Ersen mit einer Gruppe junger Bandenmitglieder, die Teil eines Rehabilitationsprojekts waren. Als Ergebnis der Begegnung erprobte die Künstlerin eine Umkehrung des sozialen Rehabilitationsprozesses: Die Gruppe artikulierte ihre Kritik an der Gesellschaft in Form von Slogans, die in Zusammenarbeit mit Esra Ersen und der Gang auf die Rücken der Lederjacken angebracht wurden. Acht Jacken trugen die Jugendlichen in den Straßen von São Paulo, acht wurden als Duplikate zu Ausstellungsstücken.

Rehabilitation – São Paulo, 2006 | Installation aus 8 Jacken

I am turkish, I am Honest, I am Diligent

Die Arbeit „Ich bin türkisch, ich bin ehrlich, ich bin fleißig“ wurde mit der vierten Klasse der Volksschule Velen bei Münster realisiert. Begleitet von der Künstlerin trugen Schüler:innen, eine Woche lang türkische Schuluniformen und schilderten ihre Eindrücke in einem Tagebuch. Diese Erlebnisse ließ Esra Ersen direkt auf in der Türkei entworfene Uniformen drucken. Sie tragen die Idee der sozialen Gleichheit beziehungsweise der klassenlosen Nation in sich und verweisen auf Moral, Staatspolitik und Bildungsideologie. Der Werktitel zitiert zudem die ersten drei Zeilen eines Schwurs, den Kinder in türkischen Grundschulen aufsagen müssen.

I am turkish, I am Honest, i am Diligent – Velen (Münsterland), 1998 | Installation aus Schuluniformen

A Possible History III

Mit „23/23 Blaupause“ betitelt Esra Ersen ihren dritten Film, in dem sie den Vorlauf und die Zeitspanne seit der Republikgründung der Türkei untersucht, die 2023 ihren 100. Geburtstag feiert. Den Startpunkt markiert eine biografische Anekdote zu den Stricknadeln ihrer Mutter. Anhand von Fotos aus Familienalben, Zeichnungen, historischen Abbildungen aus Büchern und Archivmaterialien stellt sie den Verlauf der Zeit aus einer Innenperspektive den historischen Abläufen gegenüber. Dabei treten unterschiedliche Personen und Ereignisse aus dem Hintergrund, deren Bedeutung in den Nebel des Vergessens gedrängt wurden. Unter anderem begegnet uns die türkische Schriftsteller- in Halide Edib, die wie viele andere für die Verwirklichung einer reformerischen Utopie standen.

A Possible History III, 23/23 Blauphase, 2023 | Video, 160 Drucke (1. OG)

Diario

Die Arbeit setzt sich mit zwei problematischen Themen in Italien auseinander: Einerseits die Abfallwirtschaft, welche seit Jahrzehnten ein profitables Geschäft der Mafia darstellt und den Bau von öffentlich finanzierten Müllverbrennungsanlagen verhindert; andererseits die große Zahl Geflüchteter die häufig zwischen Hoffnungslosigkeit und Ausbeutung leben. Das polarisierte Land gerät unter Druck, die unübersichtliche Situation begünstigt ein Klima für rechtspopulistische Positionen. Die freiwilligen Straßenkehrer, meist Illegale, die für ihren Einsatz um Spenden bitten, erarbeiten mit den Häufchen immer wieder neu ein Stillleben dieses gesellschaftlichen Problems. Sie hinterlassen mit jedem neuen Arrangement eine weitere Spur, nämlich ihre eigene.

Esra Ersen, Diario, 2020/2021, 10 Fotografien (2. OG)

Sammelsurium

In einem Sammelsurium realisierte Esra Ersen die abgelichteten Arrangements. Die Serie entstand in Zusammenarbeit mit dem Museum Elbinsel, dem Heimatmuseum von Wilhelmsburg, Hamburg. Die liebevoll, doch fern des heutigen Alltags präsentierten Gegenstände aus der vorindustriellen Zeit, kombinierte und montierte Esra Ersen mit Objekten aus Wilhelmsburg, die ihr von dort ansässigen Familien mit Migrationshintergrund zur Verfügung gestellt wurden. Die so entstandenen Bilder dokumentieren das kurzfristige Heimatmuseum der postmigrantischen Gesellschaft in Wilhelmsburg und stellen Fragen an den Heimatbegriff.

Esra Ersen, Sammelsurium, 2010, 7 Fotografien (2. OG)

Im Strafraum

In der Installation schneiden drei Mädchen mit langen dunklen Haaren die schwarzen Streifen aus Deutschlandfahnen heraus und nähen die gelben und roten wieder zusammen. So wird aus der deutschen Nationalfahne die Flagge des Fußballvereins Galatasaray Istanbul. Indem sich die jungen Frauen anschließend auf die Streifen legen, bekommen die Fahnen ihre Dreifarbigkeit zurück. Die Infragestellung der nationalen Einheit im Schnittakt geht hier einher mit der Vorstellung, dass alle Mitglieder einer Gesellschaft eine konstitutive Rolle in der Produktion von nationaler Identität haben. Keiner ist im Strafraum, alle sind im Spielfeld.

Esra Ersen, Im Strafraum, 2001 | Video, 4:24 Min. (Patio, draußen)